Das Jahr 2022 startete an den Rentenmärkten weitgehend so, wie das vorherige aufgehört hatte: Steigende Marktrenditen führten dazu, dass Veranlagungen in vermeintlich sichere Staatsanleihen der Eurozone zu Kursverlusten führten. Nachdem sich die Finanzmärkte bis zum Herbst des vergangenen Jahres noch in Sicherheit wiegen konnten, dass die Notenbanken die Inflation nur als temporär betrachtet und sich die lockere Geldpolitik noch einige Zeit fortsetzen wird, sieht die Realität nun anders aus. Doch was bedeuten die steigenden Renditen für Anleger? Kann mit Anleihen kurz- bis mittelfristig Geld verdient werden und dienen sie im Portfolio überhaupt noch als Diversifikationsinstrument? Stehen die Notenbanken vor der Zinswende?
Die Post-Lehman-Phase, die sich vor allem durch eine andauernde Flutung der Märkte mit Liquidität auszeichnete, neigt sich weltweit ihrem Ende zu. Mit dem Corona-Virus folgten schließlich zusätzlich ausgeweitete Programme für Anleihekäufe und verstärkten diesen expansiven geldpolitischen Kurs der Notenbanken noch weiter. Dies sorgte in Europa und den USA für ein noch nie da gewesenes Zinstief und bei Staatsanleihen mit sehr hoher Bonität vielfach für negative Renditen. Dabei waren Investoren sogar bereit, den Emittenten dafür zu bezahlen, dass sie ihnen Geld leihen.
Vor genau einem Jahr haben wir an dieser Stelle im „Spängler Kapitalmarktnavigator“ mit dem Titel „Wirtschaftserholung mit Risiken und Nebenwirkungen“ die Auswirkungen der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Pandemie im Zusammenhang mit Zinsen und Inflation beleuchtet.
Seither haben sich die bekannten Risiken weiter verschärft. Zudem kam mit dem Krieg in der Ukraine ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor hinzu. Finanzmarktteilnehmer und Experten rund um den Globus versuchen gerade, die möglichen Folgen dieses Krieges zu erfassen. Dabei sind es aber zu viele seltene Ereignisse, die aktuell aufeinandertreffen und für die es historisch kein Muster gibt: eine Pandemie, gestörte Lieferketten und ein Krieg in Europa.
Inflation mit Auftrieb
Eine der wenigen Gewissheiten dürfte wohl eine weiter steigende Inflationsrate sein. Im Februar schnellte die Teuerung in der Eurozone auf 5,9 % im Jahresvergleich nach oben: ein Allzeithoch – Ziel der Europäischen Notenbank EZB sind 2 %.
In den USA lag die Teuerung im abgelaufenen Monat sogar bei 7,9 %. Der seit Kriegsbeginn rasante Anstieg der Preise für Energie und Rohstoffe wird die Inflation zusätzlich befeuern. Dieser Erkenntnis verschließt sich nun auch die EZB nicht mehr. Die zuletzt vom Zentralbankrat abgegebenen Inflationsprognosen liegen mit 5,1 % für 2022 und 2,1 % für 2023 deutlich über den Schätzungen vom Dezember 2021. Auch hat die EZB bei der jüngsten Sitzung Anfang März reagiert und die Weichen auf eine Zinserhöhung gestellt. Die Anleihekäufe laufen im dritten Quartal aus und Ende 2022 sollte dann unter dem Titel „Normalisierung“ erstmals wieder die Zinsschraube etwas angezogen werden.
Auch der Ukrainekrieg wird die bevorstehende Zinswende nicht abwenden und die EZB wird an der Normalisierung festhalten. Durch einen stetigen Anstieg der Preise verfestigen sich schließlich die Inflationserwartungen weiter. Früher oder später werden auch Unternehmen und Gewerkschaften auf steigende Preise reagieren. Denn es ist nicht zu erwarten, dass sich diese trotz der geopolitischen Situation in Lohnzurückhaltung und Margenverzicht üben werden.
Zudem sind die Preissteigerungen längst nicht mehr auf höhere Kosten für Energie zurückzuführen. Immer stärker fressen sich diese durch alle Kategorien des Warenkorbes hindurch. Die wirtschaftlichen Bremsspuren geopolitischer Krisen waren in der Vergangenheit tendenziell eher kurzfristig. Wie die jüngsten Beratungen der Staats- und Regierungschefs zeigen, dürfte die Ukrainekrise die staatliche Nachfrage durch Investitionen in Landesverteidigung und Energieunabhängigkeit spürbar vorantreiben. Zudem muss Europa erneut mit einem massiven Strom von Flüchtlingen fertig werden.
All dies wird die Inflation weiter erhöhen.
Anleger preisen Zinswende ein
Derzeit werden zehnjährige deutsche Bundesanleihen mit einer positiven Rendite von über 0,3 % gehandelt. Zum Vergleich lagen die Tiefststände dieser Papiere im ersten Quartal 2020 bei minus 0,85 %. Die Auswirkungen der bevorstehenden Zinswende sind auch bei kürzeren Laufzeiten deutlich sichtbar. Naturgemäß reagieren diese stärker auf die von der Zentralbank vorgenommenen Leitzinsänderungen. So stieg die Rendite zweijähriger Bundesanleihen vom Tiefstand zu Ausbruch der Corona-Pandemie bei -1 % auf nunmehr -0,35 %. Dass die Marktteilnehmer dabei die Signale der EZB ernst nehmen, zeigt der Umstand, dass jener Satz rund um das vorletzte Notenbank-Meeting im Februar 2022 binnen weniger Tage um mehr als 25 Basispunkte angestiegen ist.
Anleihekurse auf dem Weg nach unten
Über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte fielen die Marktrenditen. Mit dem sinkenden Renditeniveau gingen auch die regelmäßigen Einnahmen aus Zinszahlungen zurück. Parallel zu dieser Entwicklung stiegen allerdings die Kurse der umlaufenden Anleihen und bescherten den Anlegern jährlich attraktive Zugewinne. Ein solcher Prozess ist jedoch bei einem Zinsniveau nahe Null praktisch am Ende und zwingt die Anleger entweder in schlechtere Bonitäten oder zu Titel mit längeren Laufzeiten. Die Kursgewinne verkehren sich bei einer Zinswende ins Gegenteil. Und zum großen Nachteil sinken die Kurse der umlaufenden Anleihen umso deutlicher, je geringer die Bonität und je länger die Laufzeit ist.
Staaten in der Zwickmühle
Für die Staaten bedeutet diese neue Realität steigender Renditen ein Ende der zuletzt sehr günstigen Refinanzierungsbedingungen. Der Schuldendienst war in der Vergangenheit in erster Linie deshalb erträglich, weil die EZB durch Stützungskäufe für niedrige Zinsen und geringe Risikoaufschläge gerade für Peripherieländer sorgte. Jene Staaten, die schon im Rahmen der Staatsschuldenkrise negativ aufgefallen sind, müssen nun zusätzlich mit steigenden Risikoaufschlägen rechnen. Dass dies in den letzten Wochen bislang noch nicht der Fall war, liegt neben den noch laufenden Kaufprogrammen der EZB auch daran, dass viele Länder ihre Refinanzierung in den letzten Jahren deutlich längerfristiger aufgestellt haben. Die aktuell höheren Renditen werden die Kosten der Verschuldung somit nur langsam steigen lassen. Auf der anderen Seite belasten die Folgen der Corona-Krise die öffentlichen Haushalte deutlich. Geringere Einnahmen, höhere Ausgaben – dies wird dazu führen, dass sich die Schuldenquote der Eurozone-Länder weiter erhöht. Und schließlich bleibt mit der aktuellen geopolitischen Situation ein großer Unsicherheitsfaktor bestehen. Zwar ist hinsichtlich Umsetzung noch nichts beschlossen, aber die Kosten der tieferen EU-Integration im Zusammenhang mit Militärausgaben und Energieversorgung werden zusätzlich auf die Verschuldungssituation drücken.
Notenbank im Dilemma zwischen Inflationsgefahr und Geopolitik
Für die Europäische Zentralbank wird die Lage damit immer ungemütlicher: Steigende Renditen und hohe Inflationsraten sind eine riskante Kombination für die Eurozone. Einerseits steigen die Erwartungen an die EZB es der Fed gleichzutun und die Inflation zu bekämpfen. Andererseits sollten die europäischen Währungshüter keinesfalls den wirtschaftlichen Aufschwung abwürgen und die teils hochverschuldeten Länder der Peripherie durch höhere Zinsen belasten. Die EZB muss also den schwierigen Mittelweg schaffen, die Zinsen niedrig zu halten und gleichzeitig glaubwürdig zu kommunizieren, dass sie gemäß ihrem Mandat die Preisstabilität gewährleistet.
Auf den Punkt gebracht
Wie zu Beginn beschrieben, war für die Anleger mit Staatsanleihen in den vergangenen Quartalen wegen der fallenden Kurse nichts zu verdienen. In Anbetracht der aktuellen Debatte rund um die erhöhte Inflation und die geplanten Zinserhöhungen ist auch in nächster Zeit von einem ähnlichen Szenario auszugehen. Somit steigen auch die Zweifel, ob Anleihen ihren Zweck als Diversifikationsinstrument noch erfüllen.
Über Jahrzehnte waren Anleihen der klassische sichere Teil des Depots. Dies hat sich nun geändert, da der Risikopuffer-Mechanismus mit erstklassigen Staatsanleihen nicht mehr so funktioniert wie in der Vergangenheit. Auch wenn sich die Zinswende verzögern sollte, bleibt dieser Umstand für die Anleger bestehen. Da die Auswirkungen eines übermäßigen Zinsanstieges auf Unternehmensanleihen und Aktien jedoch ebenfalls signifikant ausfallen können, sollten sichere Staatsanleihen bei aufziehenden Gewittern weiter als fester Anker für Stabilität sorgen.
Wichtige Hinweise
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